Selbsthilfegruppe für depressiv erkrankte Menschen

Anam = Seele
Cara = Freund

Aus dem Keltischen

Anam Cara war in der keltischen Welt also der „Seelenfreund“. Der Anam Cara der Mitbruder, mit dem ein keltischer Mönch seine Zelle teilte, bei dem er die Beichte ablegte und mit dem er alles besprach, was ihn bewegte. Dem Anam Cara konnte man sein Innerstes, seinen Geist und sein Herz offenbaren. Diese Freundschaft war ein inniger Akt der Anerkennung und der Zu-Wendung. Man war auf eine urtümliche und ewige Weise mit dem „Freund seiner Seele“ verbunden. (vgl. John O´Donohue, Anam Cara, Das Buch der keltischen Weisen)

Es wird so sein, dass sich in unseren Gruppengesprächen Menschen sehr weit öffnen. Sie lassen sich von anderen Menschen der Gruppe in die Seelen schauen. Das braucht sehr viel Mut und noch mehr Vertrauen in die umgebende Gruppe. Jedes Mitglied der Gruppe weiß aus eigener Erfahrung, was das bedeutet.


Spiritistisches Gedankengut zu verbreiten ist nicht unser Ziel. Wir sind keine Religionsgemeinschaft. Jeder Glaube ist richtig. Jeder Glaube ist gleich viel Wert.

Unser Gründer stellt sich vor

Depression

Eine weit verbreitete Krankheit, mitten in der Gesellschaft und quer durch all ihre Schichten.

Mein Name ist Roland Henkel

Ich bin selbst betroffen mit einer depressiven Störung mittleren / schweren Grades. Ich bin mir bewusst, dass dieses Outcoming für mich eine große Herausforderung bedeutet. Es fordert mich, indem ich mich vor einem mir unbekannten Publikum klar und deutlich mit meinem Werdegang auseinandersetze. Dieser Artikel bedeutet also auch für mich einen weiteren, großen Schritt zurück in ein erfülltes, selbstbestimmtes Leben. Am Ende diesen Beitrages wissen Sie und ich, ob ich diesen Schritt erfolgreich gehen kann.

Ich bin Betroffener, aber im medizinischen Sinn ein Laie. Ich werde versuchen, meine Geschichte in zeitlicher Reihenfolge aufzuzeichnen. Ich werde

⁃ meine Persönlichkeit beschreiben.

⁃ den Fall in meine Depression schildern.

⁃ die akute Depression erläutern.

⁃ danach meinen Weg durch die Therapie erzählen.

⁃ zuletzt die Selbsthilfegruppe vorstellen.

Das bin ich

Ich bin 55 Jahre alt, verheiratet, zwei längst erwachsene Kinder, jezwei Enkel.

Ich habe zwei Handwerksberufe erlernt und in beiden gearbeitet. Ich war ein paar Jahre Soldat auf See, zuletzt als Unteroffizier, war also auch mit Menschenführung betraut. Ich habe entsprechende Lehrgänge absolviert und einen Technikerabschluss sowie Fachabitur.

Ich bin im Facility Management in der mittleren Ebene als Techniker beschäftigt und habe nach einigen Querelen mit meinem Arbeitgeber aus der Arbeitsunfähigkeit heraus gekündigt.

Der Sturz in die Depression

In den letzten Jahren habe ich eine Liegenschaft im Zentrum Frankfurts mit Banken, Großkanzleien und Agenturen betreut. Eigentümer, Mieter und Arbeitgeber waren sehr zufrieden. Ich hatte mir eine sichere Stellung mit einer Reihe von übertariflichen Sonderleistungen und Vergünstigungen erarbeitet.

Ende 2020 kam dann der Krebsverdacht. Vorsorglich habe ich in einem Vieraugengespräch meine Vorgesetzten auf einen möglichen längeren Ausfall und die Notwendigkeit, meine Leistung zu kompensieren, aufmerksam gemacht. Sechs Wochen später war – sehr zu meinem Ärger – meine Krebsdiagnose via Flurfunk im ganzen Unternehmen bekannt.

Anfang April dann Gewissheit: Ein folikuläres Lymphom. Beginn der Arbeitsunfähigkeit. Von Mai bis Ende 2021 dann Chemotherapie mit allen üblichen Folgen.

Um nicht nichts zu tun, habe ich in der Zeit meine Wohnung renoviert. Es hat Tage gegeben, an denen mich zwei Stunden Tätigkeit völlig erschöpft haben. Aber ich habe nicht aufgegeben.

Ende 2021 war ich dann wieder so weit, um an das Arbeiten zu denken. Ich habe mit meinem Arbeitgeber einen Dienststellenwechsel nach Fulda und den Wiederbeginn nach dem Hamburger Modell vereinbart. Auf der neuen Dienststelle waren dann auf einmal die gewährten Sonderleistungen weg. Ich hatte dann auch nur noch reine Instandsetzungsarbeiten, die auch körperlich anstrengend waren, auszuführen und keinen Kundenkontakt. Ich habe drei Monate durchgehalten, in denen ich erst erfahren habe welche körperlichen Schäden durch den Krebs und die Therapie entstanden sind. In Folge des Erkennens meiner physischen Unzulänglichkeiten, bin ich immer unsicherer geworden. Damit und mit den zunehmenden Ärgernissen am Arbeitsplatz habe ich mich auch privat immer weiter zurückgezogen. Ich habe jeglichen Antrieb verloren. Dafür bin ich immer unbeherrschter geworden – mit einem Hang zur Agression.

Die akute Depression

Eine akute Depression bedarf in jedem Fall der professionellen Hilfe. Mindestens so wichtig ist das Eingeständnis für die eigene Notlage und die Akzeptanz der Hilfsbedürftigkeit.

In meinem Fall war das ein unwichtiger Streit auf einem Parkplatz. Ich habe völlig die Beherrschung verloren und das Auto meines Gegenübers mit bloßen Händen erheblich beschädigt. Ich hätte in diesem Moment der Raserei auch keinen Halt vor Personen gemacht. Erst die Tränen meiner Frau haben mich zur Besinnung gebracht.

Das war der Moment, in dem ich erkannt habe, dass ich von selbst nicht mehr aus der Situation herauskomme. Ich habe auch ziemlich gleich einen Termin bei Fr. Dr. Markwort (damalige Oberärztin der Psychiatrie Schlüchtern) bekommen. Diese hat mir eine schwere Depression diagnostiziert und mich sofort aus dem Arbeitsleben genommen. Sie hat für mich mit meinem Einverständnis einen Platz in der psychiatrischen Tagesklinik Schlüchtern besorgt. Und das war der Beginn meiner Therapie.

Die Therapie

Tagesklinik bedeutet: Eine geschützte Umgebung mit geregeltem Tagesablauf in der Gesellschaft von Menschen, die sich als Kliniksangehörige oder als Betroffene der Erkrankung bewusst sind. Mein Aufenthalt in der Tagesklinik beginnt mt der Einstellung auf Venlafaxin. Das hat etwa zwei Wochen gedauert. In der Zeit habe ich alle Therapieangebote genutzt aber eher passiv, wie ferngesteuert. Einzig den Rat zur körperlichen Betätigung habe ich gleich beherzigt, und ich bin bei jedem Wetter ca. eine Stunde in die Tagesklinik gelaufen.

Ab der zweiten Woche habe ich damit begonnen, aktiv in den Therapieangeboten mitzuarbeiten.

Psychotherapie

Hier gibt es eine Menge Stoff über die physischen Ursachen und Mechanismen der Erkrankung zu lernen. Dazu kommt das erlernen psychologischer Mechanismen. All das hilft, das eigene Verhalten bewusster zu Erkennen und so gut es geht zu Beeinflussen. Ich habe mir hierzu einen Literaturhinweis erbeten ,um selbstständig meine Erfahrungen erweitern zu können.

Therapeutische Einzelgespräche

Sie geben die Möglichkeit, Dinge anzusprechen die nicht in die Gruppe gehören. Außerdem wird hier der therapeutische Erfolg überprüft und gegebenenfalls in der Medikation oder den einzelnen Therapieangeboten nachjustiert.

Patientengespräche

Das Besondere dabei ist, das jeder um die eigene Verletzlichkeit weiß. Jeder weiß auch, dass das Gegenüber verletzlich ist. Diese Gespräche sind also von einem sehr achtsamen Miteinander geprägt. Genau dieser sorgsame Umgang in den Gesprächen untereinander trägt einen wesentlichen Teil zum Verständnis für die eigene Erkrankung bei.

Therapeutische Gruppengespäche

In den Gruppengesprächen werden die in den Psychotherapien erlernten Techniken auf Erlebnisse einzelner Gruppenteilnehmer projeziert. Daraus resultiert fast immer eine neue Sichtweise auf das zu besprechende Ereignis. Aus der neuen Perspektive ergeben sich dann andere, vielleicht bessere Lösungsansätze.

Physiotherapien

Gerade für mich sind diese Angebote wichtig, weil ich darin die körperlichen Einschränkungen kennenlernen kann. Außerdem gibt jede Art von körperlicher Tätigkeit auch einen positiven Impuls für die eigene Stimmung. Und hier sind meine täglichen Spaziergänge bei Wind und Wetter richtig wertvoll.

Ergotherapie

Die Ergotherapie macht es möglich, sich dringend notwendige Erfolgserlebnisse zu verschaffen. Der bewusste Umgang mit Materialien, Farben und Techniken stellt Herausforderungen, die zu meistern sind. Das Entstehen eines Werkstückes lässt uns erkennen ,dass man vielseitigere Fähigkeiten hat, als man bisher nutzte. Ich denke, viele Patienten nehmen dort Ideen für die Freizeitgestaltung nach der Klinik mit nach Hause.

Kognitives Training

Kognitives Training hat einen besonderen Stellenwert. Fast jeder, der in einer akuten Depression steckt, hat nachweisbar eine Minderung der kognitiven Fähigkeiten. Diese Fähigkeiten stabilisieren sich aber mit dem Abklingen der akuten Depression. Ich für meinen Teil habe festgestellt, dass es mir hilft, regelmäßig die kognitiven Fähigkeiten mit einem Lernprogramm zu stimulieren. Es gibt gute Onlineprogramme, welche frei zugänglich sind und durch bspw. Krankenkassen gefördert werden

Ziel der Behandlung

Das Ziel der Akutbehandlung in der Klinik ist es, die mentale Stabilität soweit herzustellen, dass eine Rückkehr in die Gesellschaft und ein selbstbestimmtes Leben wieder möglich ist. Die Klinik gibt dem Erkrankten ein Sammelsurium an Techniken an die Hand, einen Werkzeugkasten, mit dem man die meisten Alltagssituationen meistern kann. Der Umgang mit diesen Techniken, dem Werkzeug, muss geübt werden. Ganz wichtig dabei ist es, dass der Patient sich mit seiner Erkrankung identifiziert. Er lernt, sich selbst zu beobachten und wenn nötig, erneut um Hilfe zu bitten. Die Entlassung aus der Klinik bedeutet nicht, dass man geheilt ist. Es obliegt jedem selbst, seine Fähigkeiten selbst zu überprüfen und immer wieder nachzujustieren. Deswegen sollte sich der Patient nach Möglichkeit in weitere psychologische oder psychotherapeutische Behandlung begeben. An der Stelle – und auch nicht zuletzt – greift dann auch die Möglichkeit sich in einer Selbsthilfegruppe mit Gleichgesinnten auszutauschen.

Ich habe nach dem Verlassen der Tagesklinik eine Selbsthilfegruppe gegründet. Ich weiß, dass die Gespräche mit Gleichgesinnten jeden, der daran Teilnimmt, stabilisieren. Außerdem habe ich festgestellt, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema für meine eigene mentale Stabilität förderlich ist.

Wesensveränderung

Tatsache ist es, dass jeder, der in eine solche Therapie einwilligt und deren Ergebnisse mitnimmt, sich verändert. Jeder lernt sich, sein Leben, sein Umfeld neu zu bewerten. Jeder korrigiert sein Wertesystem. Was vorher gut war, kann jetzt inakzeptabel sein. Genau damit sehen sich dann das Umfeld, die Familie, und Freundschaften konfrontiert. Wenn diese Umgebung die Wesensveränderungen nicht akzeptieren, sind die Beziehungen zum Scheitern verurteilt oder der Betroffene fällt ganz sicher in die Depression zurück.

Fazit

So ziemlich allen Menschen mit Depressionen haben die aktive Lebensgestaltung vernachlässigt. Wir funktionieren nur noch. Aktivitäten sind von außen durch Familie, Beruf, oder Pflichtveranstaltungen initiiert. Am Ende der akuten Therapie sollte dann auch für jeden Betroffenen die Entscheidung stehen, für sich selbst Zeit und Freiräume für eigene Freizeitgestaltung einzufordern. Hierbei können die Impulse aus der Ergotherapie hilfreich sein.

Ich persönlich habe für mich entschieden, dass ich das Fotografieren und das Bogenschießen zu meinen Hobbys machen. Ich bin aktiv.

Und irgendwie hat sich meine Sichtweise auf die Welt verändert. Ich bin bereit, soziales Engagement im Ehrenamt anzunehmen. Derzeit in der SEKOS, im Anam Cara – Seelenfallschirm e.V., und natürlich in meiner Selbsthilfegruppe der Anam Cara.

Die Selbsthilfegruppe

Der Gedanke daran, eine Selbsthilfegruppe zu gründen, ist in den letzten Wochen meines Aufenthalts in der Tagesklinik entstanden. Zunächst nur eine Blödelei mit meinen Mitpatienten als Reaktion auf die Aussage der Krankenkassen, dass die therapeutische Versorgung von depressiv Erkrankten ausreichend sichergestellt sei. Recherchen im Netz und Anfragen bei niedergelassenen Therapeuten zeichnen ein ganz anderes Bild.

Genauso erfolgreich war die Suche nach einer Selbsthilfegruppe. Es gibt Angebote von Gruppen aus dem kirchlichen Bereich oder anderer Trägerschaften, zum Teil kostenbehaftet.

Viele der Mitpatienten stehen in finanziell prekären Verhältnissen oder sehen, so wie ich, den Weg dahin vorgezeichnet. Die Mittel sind sehr knapp, und die Kosten nicht tragbar.

Ich möchte die Angebote und Verdienste jedweder Glaubensgemeinschaft nicht in Frage stellen, möchte jedoch meine Geisteshaltung selbst bestimmen. Daher habe ich Angebote dieser Träger ebenfalls ausgeschlossen.

Wir, das heißt, die Patienten aus der PTK, haben uns ohne Wissen und Hilfe der Klinik mit dem Thema beschäftigt.

Das Ergebnis ist die Anam Cara. Die Ausgestaltung der Website ist eine Arbeit von etwa 20 Menschen, an der jeder nach seinen Fähigkeiten mitgewirkt hat.

Ich habe die Website finanziert, die Verwendungsrechte von „geliehenen“ Textpassagen gesichert; die Rechte und Pflichten liegen bei mir.

Die Suche nach Hilfen und Fördermöglichkeiten habe ich auf Bundesebene begonnen und bin letztlich dabei nach vielen Kontakten an die SEKOS geraten.

Die SEKOS hat das Projekt Anam Cara und unseren Gang in die Öffentlichkeit mit mehreren Presseauftritten und vielen wertvollen Tipps gut unterstützt.

Wir sind Anfang August 2022 als Anam Cara letztlich mit dem Wohlwollen der Main-Kinzig-Kliniken am Klinikum in Schlüchtern und mit der Unterstützung durch die SEKOS mit dem Selbsthilfeangebot in die Öffentlichkeit gegangen.

Von den Ursprünglich knapp 20 Initiatoren sind bis zum Gang in die Öffentlichkeit zwei Leute verblieben. Die Gruppe besteht derzeit aus etwa 16 Teilnehmern die sich regelmäßig treffen. Zulauf kommt aus dem Webauftritt, Flyern, und gelegentlichen Vorträgen.

Mein persönliches Ziel ist es, dass die Gruppe auch ohne mich fortbestehen kann.

Die Anam Cara ist kein Verein. Es gibt für Teilnehmer keine Mitgliedschaft. Es gibt keine Kosten oder Verpflichtungen. Die Kosten werden durch die Fördermittel der Krankenkassen – auch hier ist die SEKOS hilfreich – gedeckt.

Die Anam Cara wird inzwischen gut wahrgenommen und es finden sich immer wieder Interessierte ein, die sich dazu durchgerungen haben, durch die Teilnahme an Veranstaltungen der Selbsthilfegruppe ihre eigene psychische Situation zu stabilisieren. Einige Teilnehmer der Selbsthilfegruppe Anam Cara haben inzwischen ein ausreichendes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und andere Gruppenteilnehmer gewonnen. Es entwickeln sich Freundschaften und gesellschaftliche Begegnungen auf ganz privater Ebene; und das ist gut so.

Die Bindungen sind inzwischen stark genug, um aus der Anam Cara heraus einen Verein zu gründen, der dann als Träger der Anam Cara fungiert.

Der Verein ist ein gemeinnütziger, eingetragener Verein mit dem Namen

Anam Cara – Seelenfallschirm e.V.

Wir brauchen Fördermitglieder, die freiwillige Mitgliedsbeiträge entrichten, die natürlich auch steuerlich wirksam sind.

Ich aktuell

Inzwischen gehe ich wieder einer geregelten Beschäftigung nach. Auch wieder im Facility Management. Ich habe mich initiativ bei meinem jetzigen Arbeitgeber direkt und auch mit der sofortigen Benennung meiner gesundheitlichen Defizite aus der Arbeitsunfähigkeit heraus beworben.

Das hat natürlich auch viel Vertrauen und Mut seitens meines jetzigen Arbeitgebers im mich und meine Fähigkeiten verlangt.

Die Wiedereingliederung in das Erwerbsleben wurde mir und meinem Arbeitgeber dabei vom Integrationsfachdienst mit Unterstützungsmaßnahmen erleichtert.

Ich bin schwerbehindert, arbeite aber in Vollzeit sowohl im technischen Bereich als auch in der Personalführung.